Paul Maheke Seeking after the fully grown dancer *deep within*

Das Museum als offenes System und durchlässiger Körper – „Transcorporealities“ im Museum Ludwig

Wie sieht das Museum von heute aus und wie könnte es sich in der Zukunft entwickeln? Eine wichtige Frage, die das Museum Ludwig mit all seinen verschiedenen Aspekten in Ausstellungsexperimenten und zeitgenössischen Konzepten in der Serie „Hier und jetzt“ beleuchtet. Die fünf Aufgaben des Museums – Sammeln, Bewahren, Forschen, Ausstellen und Vermitteln -, das Museum als Institution und das Programm werden hinterfragt, beleuchtet und neu aufgestellt. Die Konzeptreihe erfasst das Museum so als offene Struktur für experimentelle Formate und nicht nur als Ausstellungsgebäude. Der Raum, die Ideen, das Konzept sind hierbei nicht begrenzt und führen so den Museumsbesucher aus einer vertrauten Museumslandschaft hinaus in eine neue Museumswelt.

Nick Mauss Traktat über den Schleier
Nick Mauss
Traktat über den Schleier, 2019
Museum Ludwig, Köln
© Nick Mauss
Foto: Nathan Ishar

„Transcorporealities“ ist die fünfte Ausstellung, die sich innerhalb dieser Projektreihe mit den Themen des Museums an sich auseinandersetzt. Gezeigt werden Werke von acht jungen Künstler*innen, die sich mit dem Konzept der Durchlässigkeit von Körpern als Ansatz im Rahmen dessen beschäftigen. Die Kuratorin Leonie Radine setzte die Werke von Jesse Darling, Flaka Haliti, Trajal Harrell, Paul Maheke, Nick Mauss, Park McArthur, Oscar Murillo und Sondra Perry zu einem Ganzen, einem Körper, zusammen. Trans bedeutet übersetzt zwischen, Corpo sind Körper. Der Titel der Ausstellung zeigt demnach bereits, um was es gehen soll: Realitäten bzw. Wirklichkeiten zwischen den Köpern. Die Ausstellung widmet sich der Komplexität der Körperlichkeit.

Es gibt neue posthumanistische Theorien, die besagen, dass alle Körper, menschlich und unmenschlich, offene oder leicht zu öffnende Systeme sind und die sich im Austausch mit anderen Körpern, also weiteren offenen Systeme, und der Umwelt gegenseitig beeinflussen, durchdringen und auch ineinanderfließen. Hiermit sind sicherlich Stoffwechselprozesse gemeint. Dies kann mit „Transcorporalität“ betitelt werden und die Idee dahinter lässt sich nunmehr auch auf das Museum übertragen. Anstelle einer institutionellen und intellektuellen Festung könnte man das Museum als durchlässigen Körper verstehen. Es soll ein lebendiger Organismus werden, der sich stetig weiterentwickelt und neu definiert durch die Einflüsse von außen. Wird diese Beschreibung näher betrachtet, macht sie durchaus Sinn, auch wenn das Konzept sehr abstrakt daherkommt.

Jesse Darling Virgin Variations
Jesse Darling
Virgin Variations, 2019
Installationsansicht
HIER UND JETZT im Museum Ludwig. Transcorporealities
Museum Ludwig, Köln 2019
Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln / Sabrina Walz

Bereits im Foyer beginnt eine neue Welt, Installationen gestalten den Eintrittsraum des Museums, der so zu einem Transitraum wird. Das Foyer wird durch Transparenz geöffnet, für jeden frei zugänglich ohne Eintritt zahlen zu müssen im Eingangsbereich. Es gibt keine sichtbaren Grenzen, die ausgestellten Werke interagieren mit den Räumlichkeiten und loten diese als Zugänglichkeiten aus. Das Museum wird zu einer neuen Art des Versammlungsraums. Eine Bühne mit menschenartigen Stoffpuppen, neben die sich der Besucher setzen kann und Teil des Kunstwerkes wird, oder der Besucher bewegt sich im Fluss durch durchlässige und beschriftete Trennstoffe hindurch. Weiter ist eine Art schwarzer Bagger mit Video, große Glasscheiben in blau, unter denen sich der Glasbaustoff Sand in blau sammelt, aufgebaut.

„Alle Werke verbindet die Auseinandersetzung mit körperlichen Transformationsprozessen und den durchlässigen Grenzen zwischen Natur und Kultur, Mensch und Maschine oder Individuum und Umwelt.”[1]

Sondra Perry Eclogue for [in]HABITABILITY
Sondra Perry
Eclogue for [in]HABITABILITY, 2017–2019
Installationsansicht
HIER UND JETZT im Museum Ludwig. Transcorporealities
Museum Ludwig, Köln 2019
Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln / Sabrina Walz

Auch in der Sammlung finden sich Werke zu „Transcorporealties“ zugehörig verteilt. Diese interagieren bewusst mit den bereits vorhandenen Werken und stellen hier Beziehungen untereinander und miteinander her. Es entsteht so eine neue Reflektion der bereits bekannten Arbeiten.

In der gesamten Ausstellung werden Beziehungen untersucht, Beziehung der Menschen untereinander, aber auch ihre unterschiedlichen Verknüpfungen und Bindungen mit sozialen und gesellschaftlichen Gefügen, dem Museum und heutigen Institutionen.

Trajal Harrell Dancer of the Year Shop #2
Trajal Harrell
Dancer of the Year Shop #2, 2019
Installationsansicht
HIER UND JETZT im Museum Ludwig. Transcorporealities
Museum Ludwig, Köln 2019
Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln / Sabrina Walz

Das Konzept der Ausstellung ist nicht ganz einfach zu verstehen und nicht sofort zugänglich. Doch ein Blick weiter und eine nähere Beschäftigung können durchaus interessant sein. Es eröffnet sich ein neuer Blickwinkel auf gegebene Konstellationen und auch Betrachtungsweisen des Museums als Ausstellungsort.

„Transcorporealities“ ist, wie auch schon der Titel vermuten lässt, eine intellektuelle Ausstellung mit philosophischem und kritischem Konzept. Zugänglich wird es nur nach eingehender Befassung mit den Ideen dahinter. Und ganz im Sinne des Verständnisses der Ausstellungsreihe begreift „Transcorporealities“ das Museum auch als offene Struktur und gibt den Versuch, das Experiment, wieder, sich in eine etwas andere Museumswelt mit neuen Gefügen zu begeben. Doch kann man sich den verschiedenen Kunstwerken nicht entziehen, sie sind fordernd, denn allein die Aufstellung im Eingang, zwingt den Besucher, zu schauen, über und an ihnen vorbei das Museum zu betreten. Sie sind die Bühne des Museums.

Oscar Murillo Collective Conscience
Oscar Murillo
Collective Conscience, 2015–2019, fortlaufend (Detail)
Installationsansicht
HIER UND JETZT im Museum Ludwig. Transcorporealities
Museum Ludwig, Köln 2019
Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln / Nina Siefke

 

Jesse Darling Regalia & Insignia, 2018 (Detail)
Jesse Darling
Regalia & Insignia, 2018 (Detail)
© Jesse Darling, Courtesy Jesse Darling und Arcadia Missa, London,
Foto: Tim Bowditch

 


[1]Information: Museum Ludwig, Köln

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