Der französische Maler Jean-Auguste-Dominique Ingres konnte zeichnen und malen, das steht nach wie vor fest. Er gehörte auch zu den bekanntesten Künstlern des 19. Jahrhunderts. Ein Maler in einer Zeit, in der sich die Kunst weiterentwickelte, fortschritt und verschiedene Wege einschlug, bedingt durch gesellschaftliche Umwälzungen, sich ändernde Wertvorstellungen und einem voranschreitenden Kunstbegriff.
Kunst wurde immer wichtiger, wurde kommerzieller, Kunsthändler erstarkten, es gab Sammler und Mäzene. Auf der einen Seite standen Kirche und Staat, auf der anderen das Bürgertum. Alle wollten bestimmen, was Kunst bedeutete und sollte, welchen Wert ihr beigemessen wurde und was gut und was schlecht war. Daher gab es auf der einen Seite den Akademismus, der festlegte, was dem Zeitgeschmack nach Kunst sei. Die Kunstakademie dominierte in der Zeit noch den Kunstgeschmack und war demnach die wichtigste Kunstinstanz jener Zeit. Auf der anderen Seite jedoch stand der Fortschrittsgedanke, das Revolutionäre und Künstler, die in die Moderne aufbrechen wollten. Neue Maltechniken, neue Darstellungen fanden nun Eingang in die Kunst, ob akzeptiert oder abgelehnt. Ein Kampf um den Kunstgeschmack war entfacht und sollte sich bis ins 20. Jahrhundert durchziehen.
Ingres elegante und harmonische Kompositionen wurden in Frankreich zu Lebzeiten hoch geschätzt. Er galt als Akademiemaler, lehrte an der École des Beaux-Arts. Dies brachte ihm auch Kritik in einer Zeit, die nach Neuerungen in der Malerei suchte, einer Zeit für Kunst, die auf dem Weg zur Moderne war, ein. Es beginnt eine Kunstgeschichtsschreibung, die einen Realismus eines Courbet fortschrittlicher nannte als einen Akademismus von Ingres. Die Moderne wollte eine Gegenposition zum alten Bild der Kunst bilden. Künstler wie Theodore Gericault, Eugene Delacroix oder später Gustave Courbet gelten heute als revolutionäre ideenreiche Künstler. Ingres eher nicht, er gilt als klassisch, auf Tradition bedacht, konventionell.
Der akademische Stil war Ingres verhaftet. Klassizistisch und auf die Antike gestützt, fand er dennoch seine eigene, wenn auch konventionelle, Handschrift. Diese entsprach nicht einer modernen, originellen und avantgardistischen Auffassung. Aber deswegen waren seine Werke nicht schlechter. Nein, sie waren schön, idealisierend schön. Ingres beherrschte seine Technik, gestaltete, war bekannt und konnte durch seine Bilder einen eigenen Realismus, eine eigene Sichtweise auf die Schönheit zeigen, die anderen Künstlern seiner Zeit vorbehalten war.
Als Ingres größter Konkurrent galt Eugene Delacroix, der aufgrund seines virtuosen Umgangs mit Farbe und seinen kompositorischen Experimenten als revolutionärer galt. Delacroixs bekanntestes Werk ist „Freiheit führt das Volk“ von 1830, es wurde zum Sinnbild und Symbol für den Gedanken der Revolution. Seine Motive waren kritisch und er scheute es nicht mit seinen Werken zu schockieren. Die Farbe stand im Gegensatz zu Ingres bei Delacroix an erster Stelle, die Arbeiten sprechen durch ihre Farbigkeit. Ingres hingegen arbeitete nach den Normen und Werten, die die Akademie vorgaben. Ihm war die Zeichnung, das technische Können wichtigstes Kriterium, der Farbe maß er kaum Bedeutung zu.
Ingres war berühmt für seine feinen Akte. Daneben wurde er von bedeutenden Persönlichkeiten beauftragt Porträts anzufertigen, so auch von und für Napoleon. Ingres Handschrift ist fein, die Konturen zart und klar und die Farbgebung realistisch und harmonisch. Der Hintergrund ist meist nur angedeutet und nicht konkret benennbar, im Gegensatz zu den expressiven und romantischen Werken einiger seiner Zeitgenossen. Er experimentierte wenig. Bereits mit elf Jahren begann Ingres sein Studium an der Akademie von Toulouse. Später 1797 begann er als Schüler bei Jaques Louis David, löste sich aber von dessen Stil, als er bei seinen Italienreisen Maler aus der Antike, Tizian oder Raffael kennenlernte. Er entwickelte so einen eigenen klassizistischen Stil.
In seinen Akten beschäftigte sich Ingres vornehmlich mit Badeszenen, ein Beispiel ist „Die kleine Badende“ von 1828. Als eines seiner bekanntesten Gemälde ist „Das türkische Bad“ von 1863 zu nennen. Es entstand im Auftrag Napoleons, der es jedoch wieder zurück gab. Daraufhin überarbeitete Ingres das Werk, es wurde zu einem Tondo, zudem veränderte er auch einige Kleinigkeiten. Im Vordergrund ist eine Frau in Rückenansicht zu sehen, die er bereits im Bild „Die Badende“ darstellte. Ungewöhnlich ist ihr Hautton, der einen dunkleren Teint aufweist als die Frauen im Hintergrund, dadurch sticht sie hervor.
Historiengemälde galten in der Zeit Ingres als eines der wichtigsten Genres der Kunst. Ingres beherrschte auch diese Thematik. Ein Beispiel ist sein Gemälde „Jeanne d’Arc bei der Krönung Karls VII in der Kathedrale von Reims“ von 1854. Hier verknüpfte er eine religiöse Geschichte mit Politik. Jeanne d’Arc nimmt bei Ingres die Vermittlerrolle zwischen Himmel und Erde ein, sie posiert in heroischer und doch andächtiger Geste bei der Krönung des Königs Karl VII. Als Modell der Jeanne d’Arc wählte der Maler seine Frau Delphine und verlieh dem Werk so etwas Persönliches, vielleicht sogar Intimes, das aber nur durch Kenntnis ersichtlich wird. Er selbst ist auch in dem Werk zu finden, Ingres ist hier ein Ritter am linken Bildrand.
Ingres Zeichnungen fanden zunächst eher wenig Beachtung. Die frühesten Zeichnungen zeigen noch den Stil seines Lehrers David, doch später ist der Einfluss Raffaels Werk, den er während seiner Italienreise studierte, erkennbar. In seinem zeichnerischen Spätwerk bezog Ingres mehr und mehr antike Vorbilder wie Vasenbilder mit ein. In den Zeichnungen maß er den Studien und der Linien mehr Bedeutung zu als der farbigen Untermalung, ähnlich seiner Ölbilder, das ließ sie kühler und statischer wirken. Dennoch zeigte sich hier sein Auge für Formen und Linien.
Das Werk von Ingres zeigt, er konnte malen, ja. Seine Bilder überzeugen mit Klarheit, sanften Farben und zeichnerischem Können. Einfach charakterisiert als sinnlich schön. Trotz aller Kritik, sind sie es wirklich. Er verband den Zeitgeist mit seinem eigenen Stil und darf daher nicht abgewertet werden, sondern geschätzt. Auch wenn er kein Rebell war.
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