„Das 20. Jahrhundert ist ohne Hannah Arendt gar nicht zu verstehen.“[1]
(Amos Elon, Journalist und Schriftsteller)
Keine andere politische Denkerin, Philosophin und Intellektuelle prägte das letzte Jahrhundert, das 20. Jahrhundert, so sehr wie Hannah Arendt. Sie war kritisch in gesellschaftlichen und politischen Belangen und sie fürchtete sich selbst nicht vor Kritik.
„Mit der neu in das Programm aufgenommenen Ausstellung ehren wir eine der einflussreichsten politischen Theoretikerinnen ihrer Epoche. Sie erzählt von einem Leben und einem Werk, das die Geschichte des 20. Jahrhunderts widerspiegelt und bis heute voller Sprengkraft ist. Als Identifikationsfigur und unbeugsame Frau findet Hannah Arendt heutzutage auch bei einer jüngeren Generation große Aufmerksamkeit.“[2]
Hannah Arendts Themen
Arendts Theorie zur „Banalität des Bösen“ im Zuge des Eichmann-Prozesses gehört zu den bekanntesten Denkansätzen in der politischen Theorie über die Ära des Nationalsozialismus. Die „royale Herrschaft“ ist ein weiterer Begriff, den Arendt prägte. Sie beschäftigte sich mit Themen des Totalitarismus, Antisemitismus, Flüchtlingen, Zionismus, Rasentrennung in den USA oder den Studentenprotesten. Diese Themen sind heute noch relevant und in der Auseinandersetzung begriffen. Bei allen Kontroversen und Debatten hatte Arendt keine Angst vor Kritik und scheute nie die Öffentlichkeit.
Hannah Arendt war Jüdin, sie verfolgte keine politische Tradition oder Partei. Macht das die Einordnung ihres Denkens schwierig, so wie es die Beschreibung der Ausstellung besagt? Sie fürchtete sich jedenfalls nicht kontroverse Themen aufzugreifen, zu analysieren und zu bewerten.
Hannah Arendt und der Nationalsozialismus
Bereits 1933 bekämpfte sie aktiv die Nationalsozialisten, die in Deutschland an die Macht kamen. „Wenn man als Jude angegriffen wird, muss man sich als Jude verteidigen.“[3] In dem Jahr wurde sie von der Gestapo für acht Tage inhaftiert.
„Für Arendt war urteilen gleichbedeutend mit politisch handeln. Aus dem Nationalsozialismus zog sie die Lehre: Nicht mitmachen, selber urteilen: dass man nicht nur WIR sagt, sondern dass man ICH sagt, dass man selbst urteilt.‘“[4]
Hannah Arendt in der Bundeskunsthalle
Die Ausstellung der Bundeskunsthalle betrachtete Arendts Kontroversen, ihre Urteile über Zeitgeschehen und Politik, die kritisch betrachtet wurden und arbeitete dies auf. Ungefähr 300 Objekte wurden gezeigt und stammten aus der Sammlung Deutschen Historischen Museums und anderen wichtigen Institutionen wie dem Jüdischen Museum in Frankfurt.
Zitate untermauerten die historische Betrachtung der Rolle Arendts. Zeitungsausschnitte, Mitschnitte aus Interviews, Bilder und Fotografien führten durch die Ausstellung und formten das Gesamtbild von Hannah Arendt.
Die Ausstellung ist beendet, doch das Werk und die Mahnungen Arendts bleiben.
Hannah Arendt und ihre Freunde
Freundschaften waren Hannah Arendt sehr wichtig, sie begleiteten sie während ihres ganzen Lebens, sie inspirierten sie. Mit Freunden setzte sie sich in leidenschaftliche Diskussionen und Debatten zu verschiedensten Themen auseinander. Diese Diskussionen begleiteten sie in ihrem Denken und Nachdenken über die verschiedenen Themen, die sie umtrieben.
Hannah Arendt und der „Totalitäre Herrschaft“
Ein großes Thema in Arendts Denken ist der „Totalitäre Staat“ oder die „Totalitäre Herrschaft“. Es ist ein Oberthema, denn es betraf viele weitere Dinge und Themen, mit denen sich die Denkerin auseinandersetzte.
Im Jahr 1951 erschien die amerikanische Ausgabe Arendts Schrift „The Origins of Totalitarism“. Und 1955 erschien die etwas abgewandelte deutsche Ausgabe „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“. Hierin sagt sie aus, dass bisher die Betrachtungen und Erklärungen zum Antisemitismus von Historikern unzureichend behandelt wurden. Ihre Theorie, dass totalitäre Strömungen sich jeder Weltanschauung und Ideologie bedienen und versuchen diese durch terroristische Akte in eine neue totalitäre Staatsform transportieren wollen, bildet bis heute die Basis vieler Diskussionen und Theorien. Arendt schlussfolgerte, dass diese Überführung nur den Nationalsozialisten und im Stalinismus gelang. Nur den Nationalsozialismus und Stalinismus sah sie als totalitäre Systeme (zumindest bis 1966) an. Der italienische Faschismus unter Mussolini fiel für sie nicht in die Kategorie. Totalitäre Herrschaft ist für Arendt etwas anderes bzw. weist andere Kriterien auf als gewöhnliche Diktaturen, denn das Totalitäre wirke sich auf jeden Lebensbereich aus, nicht nur auf den politischen. Die Basis bildet eine Massenbewegung. Zudem ist für Arendt das Sterben nach Weltherrschaft ein wichtiges weiteres Kriterium totalitärer Herrschaft. Ihre Thesen untermauerte sie durch viele Denker, Philosophen und Theoretiker wie Marcel Proust, Immanuel Kant oder Montesquieu.
„Sie war die erste Theoretikerin, die das Phänomen des Totalitarismus als eine in der Menschheitsgeschichte völlig neue Form politischer Macht verstand.“[5]
Hannah Arendt und die „Banalität des Bösen“
Hannah Arendt folgte dem Prozess des ehemaligen SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann in Jerusalem 1961 nach dessen Verhaftung als Reporterin. Er war seit 1941 für die Deportation von Millionen Juden in die Konzentrations- und Vernichtungslager verantwortlich. Hierzu veröffentlichte sie 1963 im The New Yorker einen Bericht und auch ein Buch mit ihren Prozessbeobachtungen und ihrem Urteil zu Eichmann, der Titel war „Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen“. Infolgedessen wurde Arendt mit ihrer These „Banalität des Bösen“ bekannt und entfachte hitzige Debatten. Sie als Jüdin wurde von vielen Seiten angefeindet, ihr wurde unterstellt Eichmann zu verteidigen.
Man warf ihr vor, Eichmann zu verteidigen. Doch das tat sie nicht, sie legte offen, dass Eichmann nicht dachte, über seine Handlungen nicht nachdachte, nicht reflektiere, nicht an die Konsequenzen dachte. Er war führte Befehle aus, ohne darüber nachzudenken, dass er Menschen in den Tod schickte. Das rückte sein Bild vom bösen Monster weg zum einfältigen Menschen. Es machte ihn zur Personifikation der Banalität des Bösen. Es machte ihn aber auch nicht zum Unschuldigen. Eichmann sei ein Clown, er befolgte Hitlers Befehle.
Viele Kritiker verstanden Arendts Punkt nicht. Sie verteidigte Eichmann nicht, sie führte ihn lediglich als Hanswurst vor. Sie entmystifizierte ihn.
„Ich war wirklich der Meinung, dass der Eichmann ein Hanswurst ist.“[6] (Hannah Arendt)
Sie griff in ihrem Artikel die damaligen Judenräte, die in der Nazizeit Entscheidungen trafen, an. Sie sagte, diese Räte arbeiteten mit den Nazis zusammen und ohne sie wären es weniger getötete Juden gewesen.
Hierdurch fühlten sich die überlebenden Juden übermannt, angegriffen, beschuldigt.
Dies war ein wesentlicher Teil, der zur öffentlichen Debatte um Arendts Urteil beitrug.
Hannah Arendt in der Ausstellung
Ein wiederkehrendes Element der Ausstellung war eine Hörcollage, die durch ihre Urteile führte, zudem durch die daraus entstandenen Debatten wie zum Beispiel zu der Politik der Rassentrennung in den USA. Die Präsentation beinhaltete des Weiteren Rundfunkaufnahmen, Filminterviews und Fotografien.
„Zu den Menschenrechten der Juden gehört unabdingbar das Recht, als Juden zu leben und, wenn es sein muss, zu sterben. Ein Mensch kann sich nur als das wehren, als was er angegriffen wird. Ein Jude kann seine Menschenwürde nur bewahren, wenn er als Jude Mensch sein kann.“[7]
Die Ausstellung beleuchtete hauptsächlich Arendts Auseinandersetzung mit dem Judentum, dem Nationalsozialismus und dem totalitären Regime mit all seinen Konsequenzen.
„Wir können den Antisemitismus nur bekämpfen, wenn wir mit der Waffe in der Hand gegen Hitler kämpfen.“[8] (Hannah Arendt)
Hannah Arendt und Rahel Vornhagen
Hannah Arendt begann als Philosophin, der wachsende Antisemitismus in Deutschland brachte sie zur Politik. Sie beschäftigte sich Ende der 1920er mit Rahel Vornagen und arbeitete an deren Biografie. Vornagen war eine jüdische Salondame der Goethe-Zeit. Arendts Meinung nach, lag der Ursprung des Zustands der deutsch-jüdischen Beziehungen der 1920er in dieser Zeit.
Hannah Arendts Emigration
Hannah Arendt emigrierte in den 30er Jahren über Paris in die USA aufgrund der Machtübernahme der Nationalsozialisten. 1937 wurde sie von den Deutschen ausgebürgert und war bis 1951 staatenlos, erst dann wurde sie amerikanische Staatsangehörige. Hierdurch fühlte sie sich Flüchtlingen und deren Situation verbunden und beschäftigte sich in ihren Schriften ausführlich mit dem Thema. Auch das Ende und die Vergangenheitsbewältigung gerade in Bezug auf das Dritte Reich beschäftigten Arendt sehr. Und darauf ging die Ausstellung auch ein.
„Doch nirgends wird dieser Alptraum von Zerstörung und Schrecken weniger verspürt und nirgendwo wird weniger darüber gesprochen als in Deutschland.“[9] (Hannah Arendt)
Hannah Arendt war eine Geflüchtete und in New York war sie lange eine Staatenlose. Sie bekam ihre amerikanische Staatsbürgerschaft erst nach Jahren, erst 1951. Sie konnte demnach nachfühlen was das Leben für andere Flüchtlinge bereit hielt. 1943 veröffentliche sie ein Essay mit dem Titel „We Refugees“. Hier setze sich mit der Thematik auseinander. Für Arendt war Amerika das politisch freieste Land, Nationalismus waren hier aufgrund der vielen Nationalitäten, die in den USA lebten, dorthin emigrierten, für sie kaum denkbar. Die gemeinsame Verfassung einigten die Menschen, nicht die Abstammung oder Herkunft.
Hannah Arendt und der Zionismus
Der Zionismus war ein weiteres zentrale Thema der Denkerin. Während ihrer Flucht ins Exil nach New York begann sie sich damit intensiv auseinanderzusetzen. Sie forderte den Aufbau einer jüdischen Armee, die mit den Alliierten gegen die Nationalsozialisten kämpfen konnten. Nach dem zweiten Weltkrieg und der Niederlage Deutschlands wurde Arendts Verhältnis zum Zionismus abgeklärter und sie entfernte sich von der Bewegung. Sie warf in einem Artikel den Zionisten Nationalismus vor. Der Zionismus war eine Bewegung, die sich Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte und die Gründung eines selbstständigen Nationalstaates für Juden in Palästina anstrebte.
Abschließend
Hannah Arendt ist wichtig. Die Ausstellung beleuchtete die Wirkung Arendts auf das 20. Jahrhundert, und darüber hinaus. Zeitberichte, Interviews und Zitate zeigten diese Wirkung auf.
Sie selbst sah sich nicht als Philosophin oder der politischen Philosophie, mit der sie in Verbindung gebracht wurde, zugehörig. Sie sah sich im Feld der Politischen Theorie tätig.
Arendts Urteile haben heute noch Kraft und sind transportierbar.
Und für sie war es wichtig zu urteilen, eine eigene Meinung zu besitzen und diese auch kundzutun. Zu einer lebendigen Demokratie gehöre das eigene Urteil, besonders dann wenn es der Mehrheit widerspricht, so Arendt.[10]
Diskussion ist immer noch unerlässlich. Ohne die Diskussion wäre eine Demokratie nicht möglich, denn die Diskussion ist die Beteiligung am gesellschaftlichen Leben der Demokratie. Diskussionen sind ein Element demokratischen Denkens, ohne das keine Entscheidungen getroffen werden sollten.
[1] Pressemitteilung der Bundeskunsthalle zur Ausstellung „Hannah Arendt und das 20. Jahrhundert“, 2021.
[2] Eva Kraus (Intendantin der Bundeskunsthalle, Bonn), in der Pressemitteilung der Bundeskunsthalle zur Ausstellung „Hannah Arendt und das 20. Jahrhundert“.
[3] Hannah Arendt, http://www.hannaharendt.net/index.php/han/article/view/71/106
[4] Pressemitteilung der Bundeskunsthalle zur Ausstellung „Hannah Arendt und das 20. Jahrhundert“, 2021.
[5] Seyla Benhabib, „Hannah Arendt. Die melancholische Denkerin der Moderne“, Hamburg 1998, S. 9.
[6] Hannah Arendt, 1964, Zitat präsentiert in der Ausstellung „Hannah Arendt und das 20. Jahrhundert“, Bundeskunsthalle Bonn, 2021.
[7] Hannah Arendt 1942, zitiert durch: taz, https://taz.de/Hannah-Arendts-Band-Wir-Juden/!5660578/
[8] Hannah Arendt, 1941, Zitat präsentiert in der Ausstellung „Hannah Arendt und das 20. Jahrhundert“, Bundeskunsthalle Bonn, 2021.
[9] Hannah Arendt, 1950, Zitat präsentiert in der Ausstellung „Hannah Arendt und das 20. Jahrhundert“, Bundeskunsthalle Bonn, 2021.
[10] Hannah Arendt „Was heißt urteilen?“, Projektion in der Ausstellung, Interview, Bundeskunsthalle Bonn, 2021.
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