Anja Niedringhaus
Amerikanische Marineinfanteristen führen eine Razzia im Haus eines irakischen Abgeordneten im Stadtteil Abu Ghraib durch; Bagdad, Irak, November 2004
Pigmentdruck auf Barytpapier
29,7 x 42 cm
Kunstpalast © picture alliance / AP Images

Die Porträts zweier mutiger Frauen in Zeiten des Aufruhrs – die Kriegsfotografinnen Lee Miller und Anja Niedringhaus

Kriege fordern Leid, Schmerz und Düsternis. Menschen bekämpfen sich mit physischer und psychischer Gewalt. Blut durchtränkt die Kriegs- und Krisengebiete. Fotografische Dokumente belegen die Gräuel. Kriegsfotografen begeben sich freiwillig zu den grausigen Schauplätzen und halten Leid, Trauer, Zerstörung in ihren fotografischen Berichterstattungen fest. Unter den Kriegsfotografen sind dabei nicht nur Männer, auch Frauen beweisen den Mut und setzen hierbei ihr Leben auf Spiel. Einige unter ihnen bezahlten mit dem Leben.

Ähnlich wie in vielen Lebensbereichen, auch der Kunstwelt, mussten Frauen in der Kriegsfotografie ihren Platz erkämpfen, sich durchsetzen, ihren Mut und ihre Courage immer wieder unter Beweis stellen. Dennoch gibt es nur wenige Frauen in diesem von Männern dominierten Beruf, nicht allein auch durch die Gefahren. Weit mehr mussten Frauen überzeugen, als es viele ihrer männlichen Kollegen tun mussten. Doch einen Vorteil hatten Frauen, gerade in der fotografischen Berichterstattung in den schrecklichen Szenarien unserer Welt, sie erlangten durch ihre Emotionalität und Empathie, Zugänge zu intimeren Blickwinkeln. Sie erhielten aufgrund ihres Geschlechts schneller Zugang zu Menschen und ihren Lebensverhältnissen, da sie nicht als bedrohlich eingestuft wurden.

Afghanische Männer auf einem Motorrad überholen kanadische Soldaten auf einer Patrouille im Bezirk Panjwayi; Salavat, Afghanistan, September 2010
Pigmentdruck auf Barytpapier
29,7 x 42 cm
Kunstpalast, Düsseldorf © picture alliance / AP Images
Anja Niedringhaus: Afghanische Männer auf einem Motorrad überholen kanadische Soldaten auf einer Patrouille im Bezirk Panjwayi; Salavat, Afghanistan, September 2010
Pigmentdruck auf Barytpapier
29,7 x 42 cm 
Kunstpalast, Düsseldorf © picture alliance / AP Images

Zwei Ausstellungen im Rheinland greifen in diesem Jahr das Thema der Kriegsfotografie durch Frauen auf.

Im Kunstpalast Düsseldorf läuft bis zum 10. Juni die Ausstellung „Fotografinnen an der Front – von Lee Miller bis Anja Niedringhaus“. Die Präsentation beleuchtet acht Fotografinnen, die sich an die gefährlichsten Kriegsschauplätze der Welt vorgewagt haben und die andere Welt dort in ihren Fotografien als Belege festhielten. Einige von ihnen starben für das letzte Foto.

Nicht weit von Düsseldorf entfernt zeigt das Käthe Kollwitz Museum in Köln die Ausstellung „Anja Niedringhaus – Bilderkriegerin“, noch bis zum 30. Juni zu sehen. Es ist die erste posthume Retrospektive der 2014 getöteten Fotografin.

„Der wesentliche Beitrag von Frauen zur Kriegsfotografie ist bisher nicht ausreichend gewürdigt worden. Die Ausstellung im Kunstpalast zeigt, dass in der Kriegsberichterstattung, wie in allen anderen Sparten der Fotografie, Bilder von zeitloser Relevanz entstanden sind. Sie liefern nicht nur wichtige Anregungen für vielfältige Diskurse, sondern ihnen gebührt auch eine angemessene museale Anerkennung.“[1]

Das Thema und der Beitrag von Frauen zur Dokumentation von Kriegen wurde bisher kaum in Ausstellungen aufgegriffen und fand nur wenig Beachtung in der Öffentlichkeit. Im Zuge der derzeitigen Gleichberechtigungsdebatte und -kämpfe, ist auch hier eine Aufarbeitung notwendig. Gerade auch im Hinblick dessen, dass die weibliche Kriegsfotografie eine lange Tradition hat, bereits seit 1936 sind Frauen als Journalistinnen im Krieg tätig.

Sowohl Lee Miller, die das Ende des Zweiten Weltkrieges mit all seinen Schrecken dokumentierte, als auch Anja Niedringhaus, die sich in die heutigen Kriege begab, vertreten ihren eigenen Stil, zeigten ihre eigene Perspektive auf den Krieg und veröffentlichten ihre Fotografien in renommierten Zeitungen und Magazinen.

„Die jeweiligen Herangehensweisen changieren zwischen der Wahrung sachlicher Distanz, unmittelbarer Direktheit und persönlicher Anteilnahme.“[2]

Es sind sensible und respektvolle Dokumentationen von schrecklichen Taten und Menschen in Kriegs- und Krisennöten. Auch die Art der Fotos beeindrucken, trotz der grausigen Motive, sind ihre Kompositionen ausgewogen, die Farbe, wenn nicht schwarz weiß, wohl weißlich ausgesucht und akzentuiert. Gerade der Kontrast zwischen Dramatik und Ästhetik macht die Fotografien noch eindrücklicher, noch menschlicher und verführt mehr zum Nachdenken. Es sind nicht nur Dokumentationen über Kriege, es sind Dokumentationen unseres Miteinanders und den Konsequenzen daraus.

Lee Miller – eine mutige Fotografin in der Zeit des Zweiten Weltkrieges

Elisabeth, genannt Lee, Miller gehörte zu den Pionierinnen der Kriegsfotografie, das steht im Widerspruch zu ihren Tätigkeiten als Model und Künstlerin. Ihr ganzes Leben scheint geprägt von Gegensätzen und einem starken Kontrast. Sie war kühl, forsch, sehr schön und mutig, umtriebig und stark. Über sich selbst sagte Miller einst: „Aus irgendeinem Grund möchte ich immer lieber woanders hin.“[3]

Lee Miller
Befreite Gefangene durchwühlen einen Müllhaufen; Dachau, Deutschland, 1945
Silbergelatineabzug
29,8 x 39,2 cm
© Lee Miller Archives
Lee Miller
Befreite Gefangene durchwühlen einen Müllhaufen; Dachau, Deutschland, 1945
Silbergelatineabzug
29,8 x 39,2 cm
© Lee Miller Archives

Eine Zeit lang war sie mit dem Surrealisten Man Ray liiert, arbeitete mit ihm zusammen und stand weiteren Fotografen Modell. Sie war nicht nur Muse, sondern auch Künstlerin. Sie ging ihren eigenen Weg, war rebellisch, wollte anders sein, nicht angepasst, wollte keinerlei Erwartungen erfüllen. 1907 geboren und aufgewachsen in einer amerikanischen Provinz, als Siebenjährige missbraucht und geprägt von Düsternis ihrer Kindheit, fand Lee Miller erst ihre Freiheit als sie in Paris war und sich dort ausleben konnte. Später erreichte sie die Düsternis wieder.

Trotz ihres Umgangs mit Kunst und ihres Lebens in der Mode- und Kunstwelt ging Miller an unschöne Orte, Orte voller grausamer Taten. Dort bewies sie Mut, Stärke und Sinn für Humor, der bitter nötig war, um die Gräueltaten der Nazis zu verdauen. Dies prägte sie. Dort wurde sie zur bekannten Kriegsfotografin.

Bereits 1940 fotografierte sie London, eine Stadt, die in dieser Zeit von den Nationalsozialisten unter Bombenbeschuss genommen wurde. Und blieb erst einmal in London, in der Stadt, die sich den Deutschen entgegensetze und nicht kampflos aufgab.

1944 begleitete Lee Miller die US-amerikanische Armee als Kriegsfotografin. Unter anderem arbeitete sie im Auftrag der amerikanischen Vogue und hielt die Ereignisse am Ende des Zweiten Weltkriegs mit ihrer Kamera fest. Dabei steht das Modemagazin, der Auftraggeber, in starkem Kontrast zu dem erteilten Auftrag. Die Dimensionen und Schrecken des Zweiten Weltkrieges wurden massiv unterschätzt. Sie arbeitete eng mit David E. Sherman vom Time-Life Magazin zusammen, der auch einige Zeit ihr Lebenspartner war.

Lee Miller zeigte wahrheitsgetreue Dokumentationen, fotografische Belege für viele Schrecken in der Welt. So war sie, als sie 38 Jahre alt war, bei der Invasion der Amerikaner in der Normandie 1944 dabei und auch die Befreiung der Konzentrationslager Buchenwald und Dachau fotografierte Miller. Die Vogue wählte dabei nur eine kleine Auswahl an Aufnahmen für die Reportage aus, denn weitestgehend waren die Fotografien zu schrecklich. Sie zeigten den Massenmord der Deutschen, der für viele Menschen und der Welt einfach zu grausam war, um ihn für wahr zu halten. Dazu schrieb Miller „Believe it!“. Elf Monate begleitete sie die amerikanischen Soldaten. Sie war eine der Ersten, die die Zerstörung Westdeutschlands fotografisch festhielt und dann die Fotos veröffentlichte. Die Schrecken, die sie in diesem Jahr sah, ließen sie nicht mehr los, fotografierte Leichenwaggons, Tote, Häftlinge, Krankenhäuser.

Lee Miller
Die Tochter des Bürgermeisters (Regina Lisso); Rathaus, Leipzig, Deutschland, 1945
Silbergelatineabzug
39 x 29,4 cm
© Lee Miller Archives
Lee Miller
Die Tochter des Bürgermeisters (Regina Lisso); Rathaus, Leipzig, Deutschland, 1945
Silbergelatineabzug
39 x 29,4 cm
© Lee Miller Archives

Berühmt wurde ihre Darstellung als Badende in Hitlers Badewanne in München nach dessen Selbstmord in einem Berliner Bunker. Es sollte eine posthume Demütigung sein, für den ehemaligen Führer und für alles wofür er stand. Fotografiert wurde sie dabei von Sherman. In ihren Bildern wurde deutlich wie sehr sie die Deutschen für ihre Taten verabscheute und wieviel Mitgefühl sie den Opfern, den Häftlingen und Zwangsarbeitern, den Kriegsleidenden entgegen brachte. In ihren Aufnahmen von ausgezehrten und abgemagerten Häftlingen wird ihr Respekt und Empathie deutlich.

Wieder zu Hause, nach dem Zweiten Weltkrieg, litt sie lange an Depressionen, den Nachwirkungen der erschreckenden Bilder, die sie sah und fotografierte. Sie beendete ihre Laufbahn als Kriegsfotografin, zu schrecklich und nachwirkend waren die Erlebnisse. 1977 verstarb Lee Miller. Ihre Arbeit als Kriegsfotografin geriet lange Zeit in Vergessenheit. Ihr Sohn entdeckte ihr Werk und veröffentlichte ein Buch mit Kriegsfotos. Dazu schrieb er: „Ihre Bilder enthüllten eine Lee Miller, die ich niemals gekannt hatte.“[4] Ihm ist es zu verdanken, dass ihre Fotografien in Bildbänden und Magazinen veröffentlich und so wiederentdeckt wurden. Er publizierte 1992 „Lee Miller’s War“, ein Buch, das ein Vorwort von David E-Sherman und zahlreiche Bilder des Ende des Zweiten Weltkriegs von Miller enthält. Trotz der Düsternis brachte Miller auch Aufklärung und Wahrheit unter die Menschen.

Anja Niedringhaus – im Krieg gestorben, doch ihre Fotografien bleiben bestehen

„Wenn ich es nicht fotografiere, wird es nicht bekannt.“[5]

 

Anja Niedringhaus bei den Olympischen Spielen 2004 in Athen © Jerry Lampen
Anja Niedringhaus bei den Olympischen Spielen 2004 in Athen © Jerry Lampen

2014 während eines Attentats in Afghanistan starb Anja Niedringhaus. Am 4. April wurde sie während der dortigen Wahlen in der Provinz Khost erschossen. Zuvor war sie immer wieder in Ländern, dem Balkan, Libyen, dem Irak oder Afghanistan, in denen Krieg herrschte und hielt mit ihrer Kamera fest, was dort geschah. Nicht nur den Krieg selbst fotografierte sie, auch die Menschen, die versuchten trotz der um sie herum herrschenden Angst irgendwie noch Freude zu erleben.

Die zivile Bevölkerung, die Opfer, die Menschen, die am wenigstens für den Krieg konnten, sind oft die Motive der deutschen Fotografin. Sie schonte weder sich selbst noch die Betrachter ihrer Fotografien. Tote Menschen, zerbombte Schauplätze, all das, was sie selbst sah, hielt sie auch für die Welt fest.

Sterbender bosnischer Soldat, Sarajevo, Bosnien, 21. November 1994 © Anja Niedringhaus/EPA.
Sterbender bosnischer Soldat, Sarajevo, Bosnien, 21. November 1994 © Anja Niedringhaus/EPA.

Nach ihrem Studium der Germanistik, Philosophie und des Journalismus, schrieb sie für das Göttinger Tageblatt. Im Jahr 1992 reiste sie zu ihrem ersten Kriegsschauplatz, Jugoslawien. Ihre Fotografien wurden in zahlreichen internationalen Zeitungen und Magazinen abgedruckt, Zeugnisse der schrecklichsten Ereignisse. Im Auftrag internationaler Nachrichtenagenturen wie der European Pressphoto Agency (EPA), oder der Associated Press (AP) war sie immer wieder unterwegs. Ihr Werk umfasst neben dem Leid aber auch Porträts und Sportfotografie. Im Jahr 2005 bekam sie den Pulitzer Preis, einer der höchsten weltweiten Auszeichnungen, als erste deutsche Frau für ihre Fotoreportagen aus dem Irak. Im selben Jahr erhielt sie den „Courage in Journalism Award“  für ihren Mut. Im Jahr 2008 bekam sie dann die „Goldene Feder“ für ihre Arbeit als Frau in Kriegsgebieten.

Während Lebzeiten lehnte Niedringhaus den Begriff der Kriegsfotografin ab, denn sie sah sich mehr als Botschafterin des Friedens. Sie wollte mit ihren Fotografien zum Nachdenken anregen und aufrütteln, indem sie genau das zeigt, was die Menschen in Friedensgebieten oft verdrängen oder von sich schieben. Mahnungen in Form von Forografien auf Papier. Dennoch entstanden einige Aufnahmen an vorderster Front, häufig unter Lebensgefahr. Während ihrer Zeit als Fotografin in Kriegen wurde Niedringhaus immer wieder verletzt, durch Granatsplitter, Bombenangriffe, Gewehrschüsse. Die Kriege forderten ihren Tribut, doch sie ließ sich nicht von den Reportagen abhalten.

2003 und 2004 gehörte sie zu den „embedded“ Journalisten im Irak, das heißt sie begleitete einen Trupp der US-Armee und dokumentierte unter strikten Reglements deren Einsätze. Dabei war sie bei der ersten Angriffswelle in der Schlacht um Falludscha. Niedringhaus schaffte es, das Vertrauen der Soldaten zu gewinnen, später auch der deutschen Soldaten in Kriegsgebieten wie Afghanistan. Dies ermöglichte es ihr, einen näheren Einblick zu erhalten und das Geschehen auf intime, aber respektvolle Art und Weise zu dokumentieren.

„Ihre Werke vereinen häufig starke Gegensätze: Sie zeigen einen Moment der Ruhe inmitten des völligen Chaos und tiefe Menschlichkeit inmitten von brutaler Barbarei.“[6], heißt es in der Pressemitteilung des Käthe Kollwitz Museum. Und dem Betrachter werden diese Kontraste schnell deutlich vor Augen geführt. Ihre Dokumentationen sind schonungslos, aber dennoch sensibel und rufen Emotionen wie Trauer, Mitleid, Hoffnung hervor. Die Fotos sind unmittelbar und direkt, dennoch respektvoll.

US-Marine mit Maskottchen ›GI Joe‹, Falludscha, Irak, November 2004 © Anja Niedringhaus/AP
US-Marine mit Maskottchen ›GI Joe‹, Falludscha, Irak, November 2004 © Anja Niedringhaus/AP

Nach ihrem Tod wurde der Anja-Niedringhaus-Preis von der die Internationalen Stiftung für Frauen in den Medien ausgerufen. Einmal jährlich wird diese Auszeichnung an Fotojournalistinnen vergeben, die sich durch ihren Mut und ihre Tapferkeit in der Berichterstattung hervortun.

Niedringhaus erzählte Geschichten. Die Geschichten, die häufig verborgen waren. Sie stellt dabei immer wieder den Mensch in den Vordergrund, die Zivilisten, die versuchen in den Kriegsgebieten zu leben, zu überleben. Dabei ist sie mutig, sensibel und bringt die Menschen zum Nachdenken.

 

 

[1] Felix Krämer, Pressemitteilung des Kunstplasts, Düsseldorf

[2] Felicity Korn, Kuratorin, in der Pressemeldung des Kunstpalast Düsseldorf

[3] Lee Miller, https://chrismon.evangelisch.de/artikel/2015/31382/vom-model-zur-kriegsreporterin

[4] Anthony Penrose in Lee Miller’s War, 1988 und 2014, https://www.sueddeutsche.de/politik/fotografin-lee-miller-in-hitlers-badewanne-1.2566942

[5] Anja Niedringhaus, https://web.archive.org/web/20140407091236/http://archive.co-berlin.info/de/exhibitions/2011/anja-niedringhaus.html

[6] Pressemitteilung, Käthe Kollwitz Museum, Köln

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