Betye Saar – Kunst als Waffe

„Meine Waffe war die Kunst.“[1]

Die Wolfgang-Hahn-Preisträgerin von 2020 Betye Saar wird in den USA in der zeitgenössischen Kunst verehrt. In Deutschland ist noch wenig bekannt. Die Technik der Assemblage machte sie sich zu eigen und verfeinerte sie. Und von Anfang an thematisiert sie Rassismus und die rassistische Haltung der weißen amerikanischen Bevölkerung gegenüber Schwarzen in ihren Arbeiten. 

„In der US-amerikanischen Kunst nimmt Betye Saars Werk eine Schlüsselposition ein. Ihre Assemblagen aus den 1960ern und frühen 1970ern verknüpfen Fragen von Ethnie, Politik und übernatürlichen Glaubenssystemen mit ihrer persönlichen Geschichte. Saar, die in einer von Rassentrennung geprägten Gesellschaft aufwuchs, hat über all die Jahre an ihrem Glauben festgehalten, dass Kunst unsere finstersten Momente und tiefsten Ängste überwinden kann.“[2]

Motive aus dem Black Power Monument, dem Feminismus, der Mystik oder Spiritualität greift Saar immer wieder auf und vereint sie zu Gesamtkompositionen, die gesellschaftlich Stellung beziehen. Sie scheut sich auch nicht, andere Künstlerinnen und Künstler für ihre Stereotypisierung der Schwarzen in Bezug auf Sklaverei zu kritisieren, so zum Beispiel das Werk von Kara Walker.

Werdegang

Sie wollte Kunstdozentin werden, studierte Kunstgrafik und wurde schließlich freischaffende Künstlerin. 1967 fand sie Inspiration in Assemblagen. Und dies wurde ihr Ausdrucksmittel. Und die Liste an Ausstellungen und Auszeichnungen von Bette Saar ist lang. 

„There’s something about buying an object that’s been handled by another Person. It has the ghost of the person, and I can create a new ideas about art from these old objects.”[3]

In den 1960erJahren begann Saar sich für andereKulturen zu interessieren. Damals wurden diese noch „Dritte Welt“ genannt. 

26. Wolfgang-Hahn-Preis 2020

„Es heißt das Gute willkommen und vertreibt das Böse.“[4]

 

Betye Saar „The Divine Face“, Museum Ludwig Köln

Im Rahmen des Preises kaufte die Gesellschaft für Moderne Kunst gemeinsam mit dem Museum Ludwig die 1971 entstandene Assemblage „The Divine Face“ für die Sammlung des Museums an. Das Werk wird zusammen mit Radierungen, einer Collage und einem Künstlerbuch bis zum 12. September 2021 im Museum gezeigt. Auch der Film „Taking Care of Business“, den das LACMA (Los Angeles County Museum of Art) für die dortige Ausstellung 2019/2020 produziert hatte, findet seinen Platz.

„Doch als ich 1970 das Field Museum in Chicago besuchte, entdeckte ich authentische Objekte aus Afrika. Das veränderte mein denken. Daher beziehe ich mich in „The Diven Face“ auf die äthiopische Bilderwelt. Ich denke, in der äthiopischen Kunst symbolisiert dieses Bild einen allmächtigen Gott. Ein Auge blickt gen Himmel, ein Auge blickt zur Erde. Man darf ihn wohl den alles bewahrenden Gott nenne… fällt mir auf, dass es auch eine Art Selbstporträt ist. Ich habe meine Nase immer so gezeichnet.“[5]

In „The Divine Face“ bezieht sich Saar auf eine magische Schriftrolle aus Äthiopien.  Und das eigentliche Werk, ist das Objekt aus Leder. Hier fügt sie verschiedene Materialien, Objekte, Stücke zusammen.

 Mittig ist ein Gesicht mit zwei großen Augen gemalt. Ein Auge schaut nach oben gen Himmel und eines nach unten zur Erde. In einigen Religionen ist die Erde die Mutter und der Himmel der Vater. The Divine Face symbolisiert den alles bewahrenden Gott.

In den 1970ern schuf Saar eine Serie von Kunstwerken, der auch „The Divine Face“ angehört. Sie nannte die Serie „Mojo“. Dabei hat Mojo mehrerer Bedeutungen, Tim einen war es ein Spitzname von für Menschen aus Afrika, zum anderen bedeutet es, Anziehungskraft oder Attraktivität, die ein mensch haben kann. Für Saar ist Mojo also auch etwas wie in Zauber. Für Austin Powers in der Filmreihe ist der Begriff ähnlich besetzt (falls man sich adernder nichts Konkretes vorstellen kann).

Kunstwerke von Betye Saar im Museum Ludwig, Köln

Vom Nichts zum Kunstwerk 

„Wenn Sie etwas aufmerksam betrachten, finden Sie alle möglichen Gründe, aber wenn Sie eine Künstlerin, ein Künstler sind, setzen Sie es bloß zusammen.“[6]

Assemblagen sind Kunstwerke, die aus verschiedenen Objekten, Zeichnungen, Drucken, Fotografin oder Malerei zusammengestellt werden. Es sind dreidimensionale Collagen, keine Skulpturen, denn die Gegenstände werden auf einem Untergrund, einer metaphorischen Leinwand, angebracht und bekommen so einen Reliefcharakter. So arbeiteten Künstler wie Alberto Burri oder Louise Bourgeois mit Gegenständen und erschufen Assemblagen. 

Im Pasadena Art Museum in der Ausstellung von Joseph Cornell (1966/1967) sah Betye Saar, die zu dem Zeitpunkt Grafikerin und Designerin war, zum ersten Mal eine Assemblage. Sie war fasziniert von dem objektiven Charakter der Kunstwerke, die weder Bild noch Skulptur waren. 

Saar fing schon früh an, außergewöhnliche Gegenstände zu sammeln und irgendwann entstanden daraus ihre Kunstobjekte. Seit über 50 Jahren arbeitet sie an ihrem Oeuvre. 

„Man kann so wunderbare Sachen entdecken. Hauptsächlich nehme ich den Müll von anderen und mache daraus mein eigenes Ding, meinen eigenen Müll. Ich bin ein Recycler.“[7]

In den 60er Jahren begann sie zu sammeln, Alltagsgegenstände, die deutlich rassistisch waren. Darstellungen klischeehafter Stereotype, so Figuren schwarzer Frauen, die aussahen wie Sklavinnen. Sie gab ihnen Waffen, mit sie sich nun wehren konnten. 

In ihren Assemblagen kombiniert die 94jährige Künstlerin Figuren, Schachteln, Kinderfotos, Haarbüschel, federn oder getrocknete Pflanzen, hinzu kommen dann manchmal Zeichnungen oder Gemälde. Sie sagte ist sie nehme den Müll der anderen und mache daraus ihren eigenen Müll, sie sei ein Recyclerin.[8]

„Das Herstellen von Dingen habe ich immer geliebt. Da ich und er Depressionszeit aufgewachsen bin, gab es bei uns daheim kein Geld, um Dinge zu kaufen; du hast Dinge selbst gemacht.“[9]

Saar macht sich viele Notizen und führt Künstlerbücher. Sie archiviert und dies ist Teil ihrer künstlerischen Praxis. Ihr ist es wichtig ein Archiv anzulegen und Aufzeichnungen darüber zu führen, was sie macht. So sind besonders ihre Skizzenbücher win wichtiger teil des künstlerischen Prozesses. „…, sie dienen dazu, über das nachzudenken, was ich schaffen will.“[10]

Kunstwerke von Betye Saar im Museum Ludwig, Köln

Schwarze Künstlerinnen

Kunst zu schaffen und damit auch noch Erfolg zu haben ist für Frauen schwer, heute immer noch. Und für schwarze Frauen ist es noch schwerer. Bette Saar ist den harten Weg gegangen. Heute ist die 94jährige erfolgreich mit ihrer Kunst und setzt Zeichen.

„Frauen wurden damals nicht ermuntert, Kunst zu machen. Erst recht nicht schwarze Frauen.“[11]

Saars Kunst erzählt, doch sie erzählt uns keine Märchen oder Geschichten, sie erzählt vom echten Leben der Afro-Amerikaner und dem Rassismus ihnen gegenüber. Es ist Storytelling der realen Art. Es geht Saar nicht um einen Kampf, männlich gehen weiblich, es geht ihr darum, machen zu können, was alle machen können, also um Gleichberechtigung aller. 

„Wissen Sie, es ging nicht um Frauen gegen Männer, sondern einfach darum, mit diesen Frauen zusammen zu sein. (…) …, es ging nicht um den Untergang der Männer. Denn, wissen Sie, in der agroamerikanischen Kultur gab es Männer, gab es Frauen, und sie waren beide unten. Da ging es nicht darum, sich über den anderen zu stellen. Bei uns gab es nicht dieselben Vorurteile gegen Frauen mit Erfolg.“[12]

 

Politische Kunst – Politische Aktivistin

Sie ist eine politische Aktivistin, sie schafft Kunst, die politische Beurteilungen und Kritiken untermauert. Mit „The Liberation of Aunt Jemima“ schuf sie 1972 ein erstes Kunstwerk mit Statement. Es behandelt den Tod des einige Jahre zuvor erschossenen Martin Luther King und ihre Wut darüber. Es ist kein großes Werk, nur papierblattgroß, eine schwarze Frau, die aussieht, wie es dem vorurteilbehafteten Prototyp der schwarzen Sklavin entspricht. Das Kleid rot mit blaugelben Blüten, ein Kopftuch, lachend. In der einen Hand den Besen und in der anderen die Schrotflinte. Vor ihr ein Bild einer schwarzen Frau, ähnlich aussehend, mit einem schreienden weißen Baby auf dem Arm. Die kleine Figur steht in einem Kasten, hinter ihr mehrere gleiche Bilder einer schwarzen Frau. Die schwarze Frau wird nicht den Besen schwingen, sie wird die Schrotflinte benutzen. Das Werk ist heute immer noch gültig, vielleicht sogar mehr denn je. Denn wir weißen Menschen sind rassistisch, auch das hat sich leider noch nicht geändert. 

Betye Saar machte aus einer Werbefigur, die sie fand, einer lächerlichen Werbefigur, die Klischees und Vorurteile durch ihr Erscheinen bedient, zu einer Heldin, sie drehte die Aussage einfach um. Die Figur hatte danach etwas Ironisches und Zynisches an sich. Die Werbefigur Aunt Jemima wurde von der Firma Quaker Oats, die Frühstücksflocken herstellt, produziert und nach dem Mord an George Floyd, der von weißen Polizisten getötet wurde, „in Rente geschickt“. Die Werbefigur hatte endlich ausgedient und auch Bette Saar freute sich darüber. Auf Instagram rostetet sie Folgendes: „Sie ist befreit! Endlich. Es wurde auch Zeit.“[13]

Die Künstlerin war aktiv beim Black Panther Movement , auch wenn die Gruppe vorwiegend aus Männern bestand. Und sie engagierte sich in der Frauenbewegung, die vorwiegend aus weißen Frauen bestand. Sie war politisch aktiv, auch wenn sie nicht zur Mehrheit in der Minderheit gehörte. Und in den späten 1960er war sie in der Bürgerrechtsbewegung aktiv. 

„Meine Arbeit bewegt sich in einer schöpferischen Spirale verschiedener Konzepte von Übergang, Wegkreuzungen, Tod und Wiedergeburt, zusammen mit den zugrundeliegenden Aspekten von Ethnie und Gender.“[14]

Sie sammelte Gegenstände, die Stereotype der Schwarzen und Sklaven abbildeten. Kombinierte sie in ihre Assemblagen und drückte Sohlen politischen und sozialen Protest aus. Sie gab den Gegenständen wie Werbefiguren so eine neue Funktion, eine Botschaft mithilfe der Kunst. 

 

Abschließend

Auch auf Instagram ist die 94jährige Künstlerin aktiv, sie verbreitet ihre Botschaft also nicht nur allein durch ihre Kunst, sie kommuniziert auch bei Social Media. Auch objektiv betrachtet, ist das bewundernswert.

Begleitet werden ihre Kunstwerke durch ihre persönliche Geschichte. Ihre Kunst ist nicht nur Kunst, es ist ihre eigene persönliche Kunst. Es wird durch ihre Herkunft, ihren Glauben, ihre Geschichte, ihre Kraft begleitet. 

Saar schafft aus der alten Welt etwas Neues, indem sie gefundene Gegenstände, die keine Botschaft haben oder Stereotype veranschaulichen, mit Dingen kombiniert, die deren Bedeutung entgegenstehen. So lädt sie ihre Kunstwerke mit mystischen, gesellschaftspolitischen oder spirituellen Botschaften auf. Träume, Fragen und Gedanken finden so ihren Raum.

Es ist ein Glück, ein Werk von Betye Saar in der Sammlung des Museum Ludwigs zu haben. Es ist ein Museum mit klarer Linie und auch Aussage und daher ist ein Werk dieser Künstlerin eine Bereicherung.

Sie ist erfolgreich und gewann Kunstpreise. Doch es war sicherlich kein einfacher Weg. Kunst ist generell kein einfacher Weg zum Erfolg, viele scheitern und gehen nicht weiter. Doch für Künstlerinnen ist es noch steiniger, besonders aber für Schwarze. So kann Betye Saar Vorbild sein und ermutigen. Künstlerinnen können es schaffen. Frauen sind stark und werden ihren Platz in der Kunst und auch in der Gesellschaft finden. 

Sie verleiht einfachen Gegenständen eine Bedeutung, gibt ihnen eine Botschaft an die Hand, lässt sie vermitteln in einer von Vorurteilen und Diskriminierungen belasteten Gesellschaft.

 

 

 

 

 

[1] Betye Saar, in: „ Mit den Waffen der Kunst: Betye Saar zwischen Aktivismus und Atelier“ von Barbara Gärtner: https://www.ad-magazin.de/article/betye-saar, 6.10.2020.

[2] Christophe Cherix, Jurymitglied des Wolfgang-Hahn-Preises 2020, in: Pressemitteilung des Museums.

[3] Betye Saar, in Interview mit dem Issue Magazin: https://issuemagazine.com/betye-saar/#/.

[4] Betye Saar in „Betye Saar – Wolfgang Hahn Preis 2020“, Carla Cugini (Hrsg.), Köln 2020, S. 22.

[5] Betye Saar in „Betye Saar – Wolfgang Hahn Preis 2020“, Carla Cugini (Hrsg.), Köln 2020, S. 24.

[6] Betye Saar in „Betye Saar – Wolfgang Hahn Preis 2020“, Carla Cugini (Hrsg.), Köln 2020, S. 26.

[7] Betye Saar, in: „ Mit den Waffen der Kunst: Betye Saar zwischen Aktivismus und Atelier“ von Barbara Gärtner: https://www.ad-magazin.de/article/betye-saar, 6.10.2020.

[8] Betye Saar, in: „ Mit den Waffen der Kunst: Betye Saar zwischen Aktivismus und Atelier“ von Barbara Gärtner: https://www.ad-magazin.de/article/betye-saar, 6.10.2020.

[9] Betye Saar in „Betye Saar – Wolfgang Hahn Preis 2020“, Carla Cugini (Hrsg.), Köln 2020, S. 29.

[10] Betye Saar in „Betye Saar – Wolfgang Hahn Preis 2020“, Carla Cugini (Hrsg.), Köln 2020, S. 28.

[11] Betye Saar, in: „ Mit den Waffen der Kunst: Betye Saar zwischen Aktivismus und Atelier“ von Barbara Gärtner: https://www.ad-magazin.de/article/betye-saar, 6.10.2020.

[12] Betye Saar in „Betye Saar – Wolfgang Hahn Preis 2020“, Carla Cugini (Hrsg.), Köln 2020, S. 33.

[13] Betye Saar, in: „ Mit den Waffen der Kunst: Betye Saar zwischen Aktivismus und Atelier“ von Barbara Gärtner: https://www.ad-magazin.de/article/betye-saar, 6.10.2020.

[12] Betye Saar in „Betye Saar – Wolfgang Hahn Preis 2020“, Carla Cugini (Hrsg.), Köln 2020, S. 33-34.

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