„The Cleaner“ – eine Retrospektive zu Marina Abramovićs Werk

Radikale, manchmal fast selbstzerstörerische Performances. Sie bewegt sich seit den 1970er Jahren an den Schnittstellen zwischen Darstellender und Visueller Kunst. Marina Abramović wird dafür geschätzt und bleibt eine der meist diskutierten Künstlerinnen unserer Zeit. Sie ist heute eine Ikone der Performancekunst.

Die aus dem ehemaligen Jugoslawien stammende Künstlerin brachte die Performance auf eine neue Ebene, radikal und kontrovers, übersteigert sie doch die Handlungen bis zum äußersten, erweiterte durch ihre Performances stets jedwede Grenzen. Instrument war meist ihr eigener Körper, den sie immer wieder auch großen Risiken aussetzte. „Wenn man einmal in den Raum der Performance eingetreten ist, muss man alles akzeptieren, was passiert“.[1]

Die Retrospektive „Cleaner“ im Louisiana Museum in der Nähe von Kopenhagen in Dänemark zeigt nun eine Überblicksausstellung über 50 Jahre Schaffen Abramovics. Film, Fotografie, Malerei, Objekte, Installationen und Archivmaterial fügen sich aneinander. Zu sehen ist die Schau in Kopenhagen noch bis zum 22. Oktober, danach wird sie durch Europa touren.

MARINA ABRAMOVIĆ – The Cleaner.
17.06 – 22.10. 2017
Marina Abramović – The Cleaner
16.6-22.10.20.2017
Exhibition Installation shot
Photo: Poul Buchard

 

„Cleaner“ bedeutet für Abramović eine Katharsis, eine Reinigung ihrer Seele und ihres Bewusstseins, daher wurde der Titel gewählt. Und in Anbetracht ihrer belastenden Performances über Jahrzehnte, ein Schritt, der nachvollziehbar ist. Verständlich. Bereits als Kind testete sie ihre körperlichen Grenzen und fügte sich mit einem für sie wichtig erscheinenden Ziel Schmerzen zu. „Ich hatte damals ja auch den Plan, mich so lang mit dem Gesicht auf mein Bett fallen zu lassen, bis meine Nase brach, die ich so hasste. Ich wollte so eine wie Brigitte Bardot. Stellen Sie sich das mal vor: Ich mit Brigitte-Bardot-Nase, wie lächerlich würde das heute aussehen!“[2]

Die Ausstellung beginnt jedoch zunächst mit Werken, die nicht unbedingt in Abramović Werk einzuordnen ist, Zeichnungen und bemalte Leinwände. Denn sie begann während Ihres Studiums der Kunst mit Malerei. So ist auch dies ein wichtiger Bereich ihres 50 Jahre andauernden Schaffens und weist den Weg hin zu ihren Performances. Herausragt unter den gerahmten Zeichnungen und bemalten Leinwänden aber ein kleines Objekt. Eine Erdnuss, an der Wand befestigt, durch das darauf scheinende Licht erscheint der Schatten wie eine Wolke und so auch der Titel der kleinen Arbeit. Sie wirkt verwunderlich, so klein und unscheinbar.

Marina Abramović, Selbstporträt, 1965

 

In den weiteren Räumen trifft der Besucher dann auf die Dokumentationen zu den Performances in Form von Videomitschnitten, Fotografien und Gegenständen. Es sind detailgetreue Belege für Abramovics Herausforderungen, Schmerz, Selbstbewusstsein und Grenzüberschreitungen.

In „Rhythm 10“, welches mit Videos dokumentiert wurde, stochert Abramović mit einem Messer zwischen den Fingern ihrer linker Hand. Rutschte sie ab oder stach sich in die Hand, wechselte sie das Messer.  „Wie beim Russischen Roulette geht es um Mut, Leichtsinn, Verzweiflung und Düsterkeit. Es war eine sehr ernste Sache und notwendig.“[3] Etwaige Unfälle waren mit eingeplant. Sie führte diese Performance erstmals 1973 auf einem Festival in Edinburgh auf.

MARINA ABRAMOVIĆ – The Cleaner. 17.06 – 22.10. 2017 Marina Abramović Rhythm 10 Performance,1 hour Museo d’Arte Contemporanea Villa Borghese, Rome, Italy, 1973 © Marina Abramović Courtesy of the Marina Abramović Archives

 

1977 performte Abramović zusammen mit Ulay (Frank Uwe Laysiepen), einem deutschen Künstler und ihrem damaligen Lebenspartner. In „Light/Dark“ saßen sich beide auf der Kölner Kunstmesse gegenüber und gaben sich ganze 20 Minuten abwechselnd Ohrfeigen. „Es wirkte persönlich, aber in Wirklichkeit hatte die Performance nichts mit unserer Beziehung zu tun. Es ging darum, den Körper als Musikinstrument zu benutzen.“[4]

Nach zwölf Jahren Beziehung mit Ulay und gemeinsamen Performances trennten sich Abramovic und der Deutsche. Aus der Trennung wurde auch eine Performance. „The Lovers – The Great Wall“. Beide marschierten aus entgegengesetzten Richtungen auf der Chinesischen Mauer aufeinander zu, jeder 2500 Kilometer. Am Ende trafen sie aufeinander. Zunächst war eigentlich geplant zu heiraten, aber daraus wurde eine Trennung. „Ulay hatte mich mit seiner chinesischen Übersetzerin betrogen. Sie war schwanger von ihm. Das hat er mir schließlich auf der Mauer gestanden. Unsere Beziehung aber war zu diesem Zeitpunkt schon kaputt. Es hat mir trotzdem das Herz gebrochen.“[5]

Eine wichtige Performance war „Balkan Baroque“ von 1997, bei der sie vier Tage lang Rinderknochen schrubbte und säuberte. Für diese Performance, die auf der Biennale in Venedig gezeigt wurde, erhielt sie den Goldenen Löwen. „Die Hitze war erdrückend, der Gestank unerträglich. (……) Für mich war genau das die Essenz des Balkan-Wahnsinns.“[6]


MARINA ABRAMOVIĆ – The Cleaner.
17.06 – 22.10. 2017
Marina Abramović
Balkan Baroque
Performance, 4 days, 6 hours.
XLVII Biennale Venice, Juni/June, 1997
© Marina Abramović
Courtesy of the Marina Abramović Archives

 

In einigen ihrer Performances bezieht sie den Besucher bewusst mit ein, so dass dieser eine aktive Rolle übernehmen muss. So zum Beispiel in „The artist is present“ von 2010, das im Museum of Modern Art in New York stattfand. „Für The Artist is Present 2010 im New Yorker Museum of Modern Art musste ich zum Beispiel meinen kompletten Stoffwechsel umstellen. Das hat Monate gedauert. Kein Mittagessen, damit mein Magen sich ans Hungern gewöhnt. Wasser nur nachts, damit ich tagsüber, wenn ich im Museum sitze, nicht ständig aufs Klo muss. Ich wurde stündlich zum Trinken geweckt.“[7] Marina Abramović saß 75 Tage auf einem Stuhl, ihr gegenüber durfte immer ein Besucher Platz nehmen und beide schauten sich an. Sieben Stunden täglich saß sie da, sie trank und aß nur abends. Diese Performance bekam große Ausmaße nachdem auch Prominente wie Lady Gaga daran teilnahmen. „Ich wollte die Grenzen erforschen, wollte wissen, wie weit das Publikum gehen würde.“[8]

MARINA ABRAMOVIĆ – The Cleaner.
17.06 – 22.10. 2017
Marina Abramović
The Artist is Present
Performance, 3 months
The Museum of Modern Art, New York, NY, 2010
© Marina Abramović
Photo: © Marco Anelli
Courtesy of the Marina Abramović Archives

 

Eine ihrer wohl radikalsten, physisch und psychisch, war Rhythm 0. Auch hier bezog sie das Publikum mit ein. Sie stellte 72 verschiedene Gegenstände, darunter zum Beispiel eine Rose, ein Messer und auch eine Pistole einem Publikum zur Verfügung. Sie stellte sich in den Raum und die Besucher durften mit ihrem Körper und den angebotenen Gegenständen machen, was sie wollten. Zunächst begann die Performance zurückhaltend, doch mit der Zeit verflog dies und Abramovic wurde sogar leicht verletzt. Die Künstlerin übertrug sich selbst im Vorfeld jedwede Verantwortung, so dass das Publikum einen Freiraum bekam. Das Publikum spaltete sich in Täter und Beschützer. Nachdem sogar der Revolver in Abramović Hand gelegt worden sein soll, eskalierte die Situation. Es gibt leider nur wenig Dokumentationsmaterial, daher ist nicht alles belegbar. Im Nachhinein war es eine enorme psychische Belastung und vielleicht die härteste Herausforderung für die Künstlerin. Es stellt sich hier die Frage, warum aus den zu Beginn noch unschuldigen Besuchern nach einer Freistellung von Schuld und Verantwortung skrupellose Täter wurden? Die Antwort ist vielleicht bereits in der Frage formuliert, die Dreistellung von Schuld und Verantwortung lässt im Unterbewusstsein vielleicht Wünsche, Erwartungen, Fantasien frei, die dann keine Hemmgrenzen mehr besitzen. Die Grenzen und Regeln eines Zusammenseins von Menschen wurden durch die Freistellung von Schuld aufgehoben, so musste es jeder nur vor seinem eigenen Gewissen rechtfertigen. Es bleibt auf jeden Fall eine psychisch belastende Situation, sowohl für Künstlerin als auch für die Besucher.


MARINA ABRAMOVIĆ – The Cleaner.
17.06 – 22.10. 2017
Marina Abramović
Rhythm 0
Performance, hours
Studio Morra, Naples, 1974
© Marina Abramović
Photo © Donatelli Sbarra
Courtesy of the Marina Abramović Archives

 

Schmerzen, den eigenen Körper über die Grenzen, physische und auch mentale Grenzen, bringen, ihn einzusetzen um Kunst zu schaffen, so arbeitet die 1946 geborene Marina Abramović. „Performancekunst, wie ich sie betreibe, ist ein ernstes Business, daher trainiere ich davor so hart wie ein Astronaut vor einem Raumflug.“ [9] Dem Betrachter stellt sich unwillkürlich die Frage, wie sie das alles überhaupt durchhält und warum sie sich das selbst antut.

„Schmerz in der Kunst ist für mich eine Tür zu einer höheren Bewusstseinsebene, wo das Innere zu leuchten beginnt. In alten Kulturen wird das oft beschrieben: Man muss die körperlichen Schmerzen überwinden, um die Tür zu öffnen. Es ist ein schwerer Weg, aber man erfährt unglaubliche Dinge, wenn man es geschafft hat.“[10]

Zudem sagte sie in einem Interview folgendes: „Schmerz ist nur eine Form von Suche. Ich kann von einem Auto angefahren werden, das ist Schmerz. Wer Liebeskummer hat, leidet wie ein Hund. Mir geht es um etwas anderes. Ich inszeniere den Schmerz bei vollem Bewusstsein und vor aller Augen, ich stelle mich schmerzhaften Situationen und transzendiere sie durch meinen Willen. Das Publikum gibt mir dabei Kraft. Und so wie es aussieht, gebe ich den Menschen auch etwas.“[11]

Was möchte Abramović mit ihren Performances erreichen?

Sie will nicht politisch sein, dennoch wirkt ihr Schaffen subtil politisch, bewegen sich ihre Themen doch häufig um Machtgefüge und Hierarchie. So trug sie meiner Meinung nach viel für den Feminismus bei. Ihr weiblicher Körper gehört ihr und sie machte ihn zum Werkzeug. Sie bestimmte selbst über sich und ihren Körper. Auch, wenn sie den Feminismus nicht leiden kann, hat sie doch mit Klischees aufgeräumt.

„Ich möchte auch nicht »Großmutter der Performancekunst« genannt werden. Ebenso wenig wie »Künstlerin«. Kunst hat kein Geschlecht. Ich bin ein Künstler. Ich kann den Feminismus und alles, für was er steht, nicht leiden, denn er stellt Frauen in ein Getto. Wenn, dann nennt mich »Kriegerin«. Das Einzige, was in der Kunst für mich zählt, ist, ob sie gut oder schlecht ist.“[12]

Sie wirft durch ihre Kunst Fragen zu unserer Existenz auf und versucht das Wesen von Verlust, Erinnerung, Schmerz und Vertrauen zu erkunden.

Mit ihren Performances regt Abramović zum Nachdenken und Nachempfinden an, für viele Bereiche des Lebens. Auch wenn es manchmal nicht eindeutig ist, so entstehen durch die Wahrnehmung doch Emotionen, Ideen, Assoziationen und Gedanken. Auch, wenn das nicht ihr Primärziel war und ist.

„Sie (Kunst) muss es schaffen, das Denken in einer Gesellschaft zu ändern. Kunst hat so viele Dimensionen. Jede Gesellschaft hat andere Bedürfnisse, manche brauchen politische Künstler, andere spirituelle. Künstler sind Diener der Gesellschaft. Und ihr Sauerstoff. Sie sollen uns erheben, weiterbringen, nicht runterziehen. Runterziehen ist so leicht.“[13]

MARINA ABRAMOVIĆ – The Cleaner.
17.06 – 22.10. 2017
Marina Abramović
Freeing the Voice
Performance, 3 hours
Studenski kulturni centar (SKC), Belgrade, 1975
Courtesy of the Marina Abramović Archives

 

 

 

 

 

 

 

 

 

[1]Marina Abramović, Spiegel online http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/marina-abramovic-autobiografie-nackter-schmerz-a-1121805.html

[2] Marina Abramović im Interview mit Thomas Bärnthaler, Süddeutsche Magazin, Heft 15/2014, http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/41824/Man-muss-bereit-sein-von-der-Erde-zu-fallen

[3] Marina Abramović, Spiegel online http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/marina-abramovic-autobiografie-nackter-schmerz-a-1121805.html

[4] Marina Abramović, Spiegel online http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/marina-abramovic-autobiografie-nackter-schmerz-a-1121805.html

[5] Marina Abramović im Interview mit Thomas Bärnthaler, Süddeutsche Magazin, Heft 15/2014, http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/41824/Man-muss-bereit-sein-von-der-Erde-zu-fallen

[6] Marina Abramović, Spiegel online http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/marina-abramovic-autobiografie-nackter-schmerz-a-1121805.html

[7] Marina Abramović im Interview mit Thomas Bärnthaler, Süddeutsche Magazin, Heft 15/2014, http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/41824/Man-muss-bereit-sein-von-der-Erde-zu-fallen

[8] Marina Abramović http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/marina-abramovic-autobiografie-nackter-schmerz-a-1121805.html

[9] Marina Abramović im Interview mit Thomas Bärnthaler, Süddeutsche Magazin, Heft 15/2014, http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/41824/Man-muss-bereit-sein-von-der-Erde-zu-fallen

[10] Marina Abramović im Interview mit Thomas Bärnthaler, Süddeutsche Magazin, Heft 15/2014, http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/41824/Man-muss-bereit-sein-von-der-Erde-zu-fallen

[11] Marina Abramović im Interview mit Thomas Bärnthaler, Süddeutsche Magazin, Heft 15/2014, http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/41824/Man-muss-bereit-sein-von-der-Erde-zu-fallen

[12] Marina Abramović im Interview mit Thomas Bärnthaler, Süddeutsche Magazin, Heft 15/2014, http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/41824/Man-muss-bereit-sein-von-der-Erde-zu-fallen

[13] Marina Abramović im Interview mit Thomas Bärnthaler, Süddeutsche Magazin, Heft 15/2014, http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/41824/Man-muss-bereit-sein-von-der-Erde-zu-fallen

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