Alice Neel: „Painter of modern Life“ – ungeschönt, dennoch bewegend

Eine der emotional bewegendsten Ausstellungen in diesem Jahr war, die Ausstellung der amerikanischen Künstlerin Alice Neel in den Deichtorhallen, Hamburg. (Dies ist natürlich meine subjektive Meinung) Die Werke transportieren eindrücklich eine Melancholie, eine Sentimentalität und eine Einsamkeit, die nur schwer einzufangen ist. Doch sie schafft es und kann diese auch vermitteln.

Ausgestellt sind um die 100 Werke aus 60 Jahren Schaffen der Künstlerin, zu sehen noch bis zum 14. Januar 2018. Zuvor war die Ausstellung bereits in Helsinki, Den Haag und Arles. „Painter of Modern Life“ der Titel der Schau.

Alice Neel: Elenka, 1936. Öl auf Leinwand, 61 x 50,8 cm. Metropolitan Museum of Art, New York, Gift of Rich Neel, 1987 Photo: © The Metropolitan Museum of Art / Art Resource / Scala, Florence 2015 © Estate of Alice Neel

 

Neel, 1900 in Pennsylvania geboren, besticht mit anrührenden und bewegenden Porträts verschiedenster Menschen und Persönlichkeiten. Dargestellt sind nicht nur Freunde und Bekannte, sondern auch Fremde, die sie traf. Ihr Interesse galt den Menschen an sich, sie analysierte sie und nannte ihre Bilder “pictures of people”, also Menschenbilder.

Neel versuchte die Seele des Dargestellten durch ihre Malerei zu erfassen und das Innerste kenntlich zu machen. Dies gelang ihr, betrachtet man die ausgestellten Bilder, scheint es, als kenne man die Person nicht nur, nein man erkennt sie und man erkennt, was in ihnen vorging. Trauer, Schmerz, Angst, Skepsis, all das deutlich lesbar nach außen gekehrt. Die Porträts sind offenherzig, einsichtsvoll und einsichtig, nicht immer einfühlsam, denn stellen sie den Menschen nicht verschönt dar, nicht immer vorteilhaft. Dabei wird aber das Verständnis Neels für den Menschen spürbar.

Jackie Curtis and Rita Red, 1970 Öl auf Leinwand. The Cleveland Museum of Art, leonard C. Hanna, Jr. Fund 2009.345 © The Estate of Alice Neel

 

Wenn ich nicht Künstlerin geworden wäre, hätte ich Psychiaterin sein können„, sagte sie einst selbst. Ihre Bilder sind ungeschönt, authentisch und wahr. Sie untersucht in ihren Porträts das Innerste des Menschen, die Psychologie der Person. Und findet auch immer die Geste und Mimik, die genau das Charakteristische ausdrückt.


Alice Neel: Hartley, 1966. Öl auf Leinwand. Courtesy of the National Gallery of Art, Washington © Estate of Alice Neel

 

Doch auch ihr eigenes Leben war geprägt von düsteren und schweren Zeiten. Eine Ehe mit einem wohlhabenden Kubaner scheiterte, zwei Töchter gingen aus dieser Beziehung hervor, die Erste verstarb früh an Diphtherie und die Zweite wurde ihr durch den Exmann entzogen. Sie verbrachte eine gewisse Zeit in einer psychiatrischen Klinik, nachdem sie Zusammenbrüche erlitt und Suizidversuche hinter sich hatte. Weitere unglückliche und chaotische Beziehungen folgten, sie bekam zwei Söhne von zwei verschiedenen Männern, die sie alleine aufzog unter schweren Bedingungen und mit kaum finanziellem Rückhalt. Dies alles in den 1930ern, der Zeit der großen Depression in den USA. Sie tauchte in die Welt der Intellektuellen und Künstler ein. Politisch bekannte sich Alice Neel zum Kommunismus, sie verewigte sogar die kommunistische Szene in ihren Bildern. Und das FBI behielt sie aufgrund dessen unter Beobachtung.

Alice Neel gehört zu den lange unterschätzten Malerinnen der USA, dabei trug sie mit ihrer Kunst so viel für das gesellschaftliche und soziale Leben, für die Frau in der Gesellschaft unter Männern bei. Sie galt seit den 1960er Jahren als Feministin, wurde zu einer Ikone. Vor allem durch ihre Bilder von Frauen, die verletzlich wirkten, es aber nicht waren, Bildern von Schwangeren mit ihren runden Bäuchen. Die Frau und auch besonders die Mutter im Zentrum ihrer Malerei, so wie sie war und kein sexuell reizvolles Objekt, sondern einfach Frau, einfach weiblich, stark und fühlend. In unserer Gesellschaft eine wichtige Botschaft.

Alice Neel: Pregnat Julie and Algis, 1967. Öl auf Leinwand. Photo: Malcolm Varon, New York © Estate of Alice Neel

 

Kinder tauchen auch immer wieder in ihrem Schaffen auf. Kinder, die sie nicht beschützen konnte, feinfühlig und zart. Auch sich selbst malte sie, es waren ehrliche Porträts, die Malerin, die alterte und graue Haare bekam, die melancholisch und traurig in die Welt blickte. Erst im Jahr 1974 würdigte sie das Whitney Museum in New York mit ihrer ersten Retrospektive. Es sollte also 40 Jahre dauern bis Neels Kunst Beachtung geschenkt wurde. Doch sie durfte es selbst miterleben. Auch Robert Mapplethorpe, einer der Pioniere der Fotografie, fotografierte die Malerin und zeigte in dem Porträt eine verletzliche Frau.

Alice Neel: Nancy and the Twins (5 Months), 1971. Öl auf Leinwand. Photo: Malcolm Varon © Estate of Alice Neel

 

Ihre Malweise spricht für sich und trägt eine tiefempfundene Liebe zur Malerei in sich. Zunächst beendete Neel eine Ausbildung in Stenographie und Schreibmaschine und während sie eine Stelle als Sekretärin inne hatte, absolvierte sie Abendkurse in Kunst an der School of Industrial Art in Philadelphia. Dann im Jahr 1921 ging sie an die Philadelphia School of Design for Women, die heute Moore College of Art and Design heißt. In der damaligen Zeit war dies sicherlich ein gewagter und mutiger Schritt für eine Frau ohne finanziell stabilen Hintergrund. Im ersten Jahr bezahlte sie die Gebühren noch von ihrem Ersparten, die folgenden drei Jahre wurden ihr durch ein staatlich finanziertes Stipendium ermöglicht.

Beeinflusst wurde sie durch den Expressionismus und die Neue Sachlichkeit, später jedoch stehen ihre Porträts für einen ganz eigenen neuen Stil, eine eigene Handschrift, nicht wirklich real und nicht wirklich expressiv. Einflüsse durch Otto Dix oder George Grosz sind erkennbar. Zugeordnet wird sie dem Stil des amerikanischen Realismus. Doch ist es eine ganz eigene Bildsprache, nicht kategorisierbar, nicht in eine Schublade zu bringen.

Alice Neel: Ginny and Elizabeth, 1975. Öl auf Leinwand Photo: Ethan Palmer © Estate of Alice Neel

 

Neels Zeichnungen, einige davon sind auch in der Ausstellung zu sehen, führen den Blick noch tiefer, tiefer in die Seele. Hier verbirgt sie ihre eigene Verletzbarkeit und auch ihre erlittenen Verletzungen. Doch sind diese Gefühle übertragbar auf jeden Einzelnen, auch die Betrachter können es nachempfinden. Die Zeichnungen sind fein, zart, sanft, und auch verletzlich.

Die Künstlerin starb 1984 in New York, bleibt aber durch ihr Werk unvergessen. In allen wichtigen Museen dieser Welt finden sich ihre Werke, so auch im Tate Modern in London.


Alice Neel: Max White, 1935 © Smithsonian American Art Museum, Washington D.C.

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